An den Landungsbrücken rein

Ein Tagestrip auf der „Music-Cruise“ von FRS Helgoline mit Thees Uhlmann & Band nach Helgoland.

Helgoland. Der 1. Juni 2005 muss ein ziemlich besonderer Tag für row-people gewesen sein. Auf der Vorgängerseite unseres Bremer Stadtmagazins erschien zwei Tage nach Release eine Rezension über das Debütalbum von Madsen. Gastautor war damals ein gewisser Thees Uhlmann, Sänger und Gitarrist der Band Tomte aus dem nicht allzu weit entfernten Hemmoor. Er charakterisiert das Album als „die beste Debüt-LP, seitdem ich über Musik schreibe“ – ein Zitat das 17 Jahre nach Erscheinen noch immer im Wikipedia-Artikel von Madsen steht. Mit Tomte hat er zu diesem Zeitpunkt bereits drei Alben veröffentlicht, im gleichen Jahr tritt er mit der Hansen Band auf und ein Jahr später sollte mit „Buchstaben über der Stadt“ das heute vielleicht wichtigste Tomte-Album folgen.

Szenenwechsel. 29. September 2011. Ein 15-jähriger Junge sitzt in seinem Syker Jugendzimmer und schaut den Bundesvision Song Contest mit Stefan Raab. Tim Bendzko gewinnt, Flo Mega wird für Bremen sensationell Zweiter, Kraftklub, Bosse und Jennifer Rostock treten auf. Im Gedächtnis bleibt mir jedoch vor allem ein anderer Song: Für Hamburg tritt der mir bis dahin unbekannte Thees Uhlmann an. „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ – was für ein Titel! Und auch, wenn ich mitten in der Pubertät noch nicht ansatzweise ahnen konnte, welche Rolle dieser Künstler stellvertretend für diese Art von Musik in meinem Leben später spielen wird, finde ich‘s irgendwie gut.

Ein Sprung in die Gegenwart. 3. September 2022. Um 9 Uhr morgens stehen an den Hamburger Landungsbrücken hunderte Musikfans und warten auf den „Halunder Jet“ der FRS Helgoline. Die Flensburger Reederei veranstaltet die „Music-Cruise“, nach Johannes Oerding 2018 und Fettes Brot 2019 findet die dritte Reise mit Thees Uhlmann heute nach zwei Verschiebungen endlich statt.

An Bord des erst 2018 gebauten, modernen Highspeed-Katamarans sitzen die Gäste entweder auf bequemen Sitzen an großen Panoramafenstern, oder schnuppern auf den großen Freidecks Seeluft. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 65 km/h kann sich der gut 60 Meter lange „Halunder Jet“ fortbewegen, sodass die Überfahrt nach einem Zwischenstopp mit weiteren Zustiegen an der „Alten Liebe“ in Cuxhaven nur noch etwas über eine Stunde dauert. Zuvor hatte Grillmaster Flash die Besucher*innen während der Fahrt auf der Elbe auf dem offenen Deck mit einem gut 40-minütigen Konzert bereits bestens eingestimmt und unterhalten.

Ein Blick durch die Passagierreihen auf dem Katamaran schlägt die Brücke zu den einleitenden Worten. Thees Uhlmann verbindet nach 25 Jahren auf der Bühne inzwischen Generationen. Menschen, die schon zum Debüt von Tomte gerockt haben, stehen bei Konzerten heute neben Leuten,  die zu dem Zeitpunkt gerade laufen gelernt haben. Auf dem „Halunder Jet“ sitzen Paare, Freunde, Familien unterschiedlicher Altersgruppen. Für sie alle ist es heute kein gewöhnliches Konzert. Es ist ein Abschalten auf Deutschlands einziger Hochseeinsel, vielleicht der ungewöhnlichste Ort, an dem sie je ein Konzert gesehen haben, eine Butterfahrt ins Glück.

Nachdem das Schiff inklusive Thees Uhlmann, seiner Band und der Crew vom Grand Hotel van Cleef auf Helgoland angelegt hat, haben die Gäste genug Zeit, um die ganze Insel zu erkunden. Sie können auf dem Unterland zoll- und mehrwertsteuerbefreit einkaufen, auf dem Oberland durch die schmalen Gassen schlendern und die beeindruckende Natur mit den Steilküsten, Klippen und Sehenswürdigkeiten wie der „Langen Anna“ erkunden. Oder einfach entspannt mit Eis, Bier oder Fischbrötchen in der Sonne sitzen. Wer sich auf einen Spaziergang über den Klippenrandweg wagt, atmet die sauberste Luft Deutschlands ein und sieht neben dem kleinsten Naturschutzgebiet der Welt auch die zweitälteste Vogelwarte der Welt und den Ort mit den meisten dokumentierten Vogelarten Mitteleuropas.

Es ist allerbestes Spätsommer-Wetter und Thees Uhlmann legt in der Nordseehalle Helgoland direkt neben dem Kurpark pünktlich um 16:30 Uhr ohne weiteren Support los. Er beginnt solo mit Akustik-Gitarre mit einem Cover des Songs „Reisefieber“ vom ersten Album der Toten Hosen aus dem Jahr 1983. „Die Nordsee schlägt dir ins Gesicht, trotzdem hast du verloren. Du bist nicht weit gekommen, du läufst weiter nach vorn.“ – Zeilen, die zum Auftakt nicht passender sein könnten. Mit den Toten Hosen ist Thees Uhlmann schon lange sehr eng verbunden. Noch vor zwei Wochen spielte er als deren Vorband in seiner aktuellen Heimat Berlin, jetzt startet er mit dem Song der Band, über die er einst ein ganzes Buch geschrieben hat.

Von Beginn an ist in der Nordseehalle eine sehr gute, an manchen Stellen gar euphorische Stimmung. „Spart eure Kräfte“, rät Thees Uhlmann deshalb gleich am Anfang, doch das Publikum hat Ausdauer. Es würdigt Besonderheiten wie den Opener, das zuletzt nicht immer gespielte, aber vom Titel heute umso passendere „Zugvögel“ und das ruhige und großartige „Junkies und Scientologen“. Zum schnellen „Katy Grayson Perry“ wird getanzt, solo und akustisch gibt es dagegen in der Mitte des Sets den Tomte-Song „Die Schönheit der Chance“. Thees Uhlmann und seine internationale Band mit Musiker*innen aus Schottland, Österreich, den Niederladen und Deutschland wird mit Sprechchören gefeiert, es ist heiß und intensiv in der Nordseehalle.

Die Zugabe „Römer an Ende Roms“ beginnt ruhig mit Simon Frontzek am Klavier und steigert sich immer mehr, als nach und nach die ganze Band einsetzt. Der mit langem Applaus gefeierte Abschluss nach 90 Minuten ist „Ein Satellit sendet leise“. „Die Nordsee schlägt dir ins Gesicht, doch du läufst immer weiter nach vorn. Ohne dich wären die Welt und ich verloren“ – da ist es wieder, das Nordsee-Motiv, und nach dem einleitenden Song weiß spätestens jetzt jeder anwesende Thees-Fan, welches Stück im Text zitiert wird.

Obwohl auf der Setliste nichts mehr steht und alle denken, es wäre vorbei, kommt Thees Uhlmann kurze Zeit später noch einmal zurück auf die Bühne. Der Mann, der in diesem Jahr den Bundespräsidenten wählen durfte, spielt zum Abschluss wie schon zu Beginn ein Cover der Toten Hosen, diesmal „Liebeslied“ – ebenfalls solo mit der Akustik-Gitarre.

Es gibt Künstler, die nutzen sich ab, wenn man sie oft live gesehen hat. Thees Uhlmann gehört nicht dazu. Seine Konzerte bieten immer wieder neue Endorphin-Augenblicke – neben den persönlich wichtigen Momenten in eigenen Lieblingsstücken dann wiederum Songs, die überraschend an unerwarteten Stellen zupacken. Wechselnde Dynamiken, liebevolle Arrangements, ausschweifende Ansagen. Und eine hochkarätige Band voller erstklassiger Musiker*innen, deren Soloprojekte man unbedingt auch mal auschecken sollte.

Nach Ende des Konzerts haben die Gäste noch gut zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt der Fähre. Mit dem „Halunder Jet“ geht es hinein in den Sonnenuntergang, bei Ankunft ist es dann schon richtig dunkel. Wie schon auf der Hinfahrt, gibt es an Bord schnellen und aufmerksamen Service und eine gute Musikauswahl (die Playlist dazu wurde inzwischen öffentlich gestellt). So kommen alle Besucher*innen wieder gut, schnell und voller Eindrücke zu Hause an. Was für ein rundum gelungener Tag, was für ein tolles Erlebnis!

Seht euch hier unsere Konzertfotos an:


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