Deine Angst kann nicht stärker sein als du

Sperling haben auf ihrer ersten Headline-Tour letzte Woche zusammen mit Nikra im Tower Musikclub gespielt.

Sperling

Bremen. Mit ihrer musikalischen Kraft und ihrer textlichen Intensität, dürften Sperling für ihre Fans eine Ausnahmestellung in der deutschsprachigen Musikwelt darstellen. Nachdem sie schon viele Jahre zusammen Musik machen und spätestens mit ihrem Debütalbum „Zweifel“ im Januar 2021 ihren Sound gefunden haben, sind sie aktuell mit ihrem Zweitwerk „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ erstmals auf eigener Headline-Tour. Dienstagabend haben sie im gut besuchten Tower Musikclub gespielt.

All ihre eigenen Konzerte der laufenden Tour werden eröffnet von Nikra, einer jungen Sängerin mit kräftiger, kratziger Stimme und E-Gitarre, die heute als vierköpfige Band auf der Bühne steht. Sie verbindet eine wilde Punk-Attitüde mit ebenfalls messerscharfen Texten voller künstlerischer Tiefe. Als Teil der Generation Z geht es um politische wie gesellschaftliche Themen, um den Klimawandel, Diversität, um die eigene Körperidentität, wie im kraftvollen Song „Wer hat diesen Körper designt“, bei dem ihre volle Stimmkraft zur Geltung kommt, als sie die letzten Töne ohne Mikrofon ins Publikum schreit. Temporeiche, wütende Songs wie „Fake“ und „Zeitgeist“ wechseln sich ab mit unveröffentlichten Stücken wie „Alles gelogen“, dessen Mitsing-Refrain noch tagelang im Ohr bleibt. Nachdem sie im Tower letztes Jahr schon Kafvka supporten durfte und Ende August ein eigenes Konzert auf der MS Loretta gespielt hat, hat Nikra auch heute mit Sicherheit einige neue Fans dazugewonnen.

Sperling hat es dagegen erst das zweite Mal nach Bremen verschlagen, nach dem Rogers-Support im Schlachthof im März ist der heutige Tourstopp ihr Headliner-Debüt in der Stadt. Viele Menschen haben den Weg in den Tower gefunden, erst recht für einen Dienstag. Musikalisch bewegen sich Sperling zwischen Post-Hardcore und Indie-Rock, der klare Gesang von Jojo weist deutliche Einflüsse aus Rap und Hip-Hop auf, während Malte an der Gitarre Akzente setzt, Josh an den Drums das spannende Konstrukt zusammenhält und Luca am Cello mit ganz viel Hingabe für besondere Momente sorgt. Eine junge, durch und durch bemerkenswerte Gruppe, die unglaublich dringliche, emotionale und berührende Songs schreibt.

Der Start in den Abend ist laut, nahezu brachial und spätestens beim dritten Song „Es geht“ legt sich Gänsehaut über den ganzen Körper, wenn die Stimmen der Besucher*innen zweimal den abschließenden Satz rufen – „deine Angst kann nicht stärker sein als du“. Angst ist ein wiederkehrendes Motiv bei Sperling, sei es im sogar gleichnamigen Titel („Ich hab‘ keine Angst mehr, weil es nichts mehr zu verlieren gibt“) oder im neueren „Die kleine Angst“, die dafür „nie größer war als jetzt“.

Es geht bei Sperling weniger um Auswege, Antworten oder Lösungsansätze, es geht eher um beschreibende Situationen und das Gefühl, damit nicht alleine zu sein. Man kann sich verstanden fühlen. „Glaub‘ mir wenn ich sage, ich kenne das auch“ heißt es in „100 Tonnen Kummer“. Sperling wissen, wovon sie singen, teilen ihre innersten Gefühle und Gedanken. Ihre Worte kommen aus vollem Herzen. Allein das schafft eine besondere Verbindung zum Publikum. Persönliche, ergreifende Texte zu packender, kraftvoller Musik. Schonungslos, ehrlich, schwer und facettenreich. Das geht ganz tief unter die Haut. Auf ihrem zweiten Album mit dem Titel „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ geht der Blick eher nach innen als nach außen. Sänger Jojo textet reflektiert, wortgewandt, mal melancholisch, mal aufbäumend, immer tiefblickend und emotional und oft auf der Suche nach Orientierung.

Ihr kurz vor der Tour veröffentlichter Song „Allein sein ist so leicht“ darf im Live-Set ebenso wenig fehlen wie das außerhalb eines Albumkontextes erschienene „Schnee“. Richtig berührend ist die Ansage von Jojo vor dem Song „November“ über den Mut, seine Schwächen zu zeigen und nicht zu verstecken, da in einer oft auf Perfektion und Stärke ausgelegten Gesellschaft jeder Mensch anderen Hoffnung geben kann, indem er diesen Weg nicht mitgeht. Jeder Mensch hat Ängste, Sorgen, Unsicherheiten und Zweifel und niemand soll sich deshalb verstecken müssen.

Untermalt von einer facettenreichen, groß aufgefahrenen und immer passend eingesetzten Lichtshow spielen Sperling ein Konzert, das für jede*n aufgrund der ganz persönlichen Erfahrungen und Lebenssituationen ganz andere, besondere Momente auslöst. Und über allem steht das Gefühl, damit nie, niemals alleine zu sein.

Seht euch hier unsere Konzertfotos an:

 


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