Sleaford Mods – Spare Ribs, Rough Trade, 2021

Eine Albumreview und ein kurzer Ausrutscher.

Für Frontshouter James Williamson stehen die Titelgebenden Spare Ribs für alle (working class) Menschen in einem kapitalistischen System. Sie halten zwar den Körper zusammen, aber auf einige kann notfalls verzichtet werden. Und schon haben wir den Bogen zum großen Ganzen gespannt zu Williamsons Lieblingsgegner Boris Johnson, der Coronakrise, dem Brexit und einem weiteren Lieblingsfeind, den IDLES und anderen Bands, die in Williamsons Wahrnehmung die Werte der Arbeiterklasse verraten haben und eine auch in Großbritannien sich weiter ausbreitenden Ausländerfeindlichkeit. Textlich also wie gewohnt von den Mods, ein Rundumschlag. Gefangene werden noch immer nicht gemacht. Omnipräsente Politiker und Celebrities sind entweder Wanker, Counts oder Idiot. Allerdings auf Spare Ribs etwas weniger wütend vorgetragen. Vielleicht hat ja der Lockdown zur innerlichen Ruhe bei Williamson beigetragen. Auch die Musik ist mittlerweile weniger im Post-Punk verwurzelt, als vielleicht noch in den Anfangstagen, sondern öffnet sich immer stärker dem Hip-Hop. Besonders über die beiden Songs mit den sehr coolen und talentierten Billy Nomates und Amy Taylor als Gastsängerin hätte sich mein jüngeres und bekifftest Ich sicherlich gefreut. Dopegeschwängerte Beats von der zweiten Hälfte des Duos Andrew Fearn  erdacht, die der Wu Tang Clan auch nicht besser hinbekommen hätte, im Gegenteil (Mork’n Mindy) und auch über Out There dürfte sich Hardcorekiffer schon rein musikalisch freuen. Glimpses ist hingegen astreiner britischer Post-Punk. Insgesamt sind die Songs mittlerweile verspielter als sie es früher waren. Ansonsten schüttelt Williamson über vermeidliche Gangsterrapper nur lachend den Kopf (Nudge It) und verarscht diese Typen mit wilden Gesten im dazugehörigen Video. Wahrscheinlich hat er mehr Ahnung von Hip-Hop und Rap und der dazugehörigen Geschichte und Herkunft, als die Typen, die gerne Gangster wären.

Es ist schwer, musikalisch noch etwas Neues zu erschaffen. Die Sleaford Mods haben es mit ihrer Kreuzung aus Punk und Rap vor Jahren geschafft selbst abgezockte „hab‘ ich schon vor X Jahren gehört“ Typen zu überraschen und -zeugen. Das etwas Vergleichbares nicht aus Deutschland kommen kann, war ja klar, zu sehr spielt die Klassenzugehörigkeit in Großbritannien eine Rolle in der Musik und den Texten. Trotzdem würde ich mir Bands in Deutschland wünschen, die so kompromisslos der Gesellschaft den Spiegel entgegenhält. Aber hierzulande würde wohl ein Sturm der Entrüstung losgehen, selbst bei Menschen, die das auf Englisch alles ganz toll finden. Ist ja immer einfacher, mit dem Finger auf die Missstände der anderen zu zeigen. Gerade in Deutschland ist ja häufig ein Gefühl der Überlegenheit vorhanden. Das haben die vielen (stolzen) Reaktionen, von so Arschgeigen wie Markus Söder oder Michael Müller, nur um mal ein paar Namen zu nennen, nach der ersten Coronawelle erneut gezeigt (Deutschland wird im Ausland bewundert, bla bla bla).

Aber auch Künstler wie die bereits erwähnten Idles, Fontaine DC und Billy Nomates würden wohl mit ihrem sehr ähnlichen, aber erweiterten Sound weniger bis gar keinen Erfolg haben, wenn sie nicht auf den Pfaden wandeln würden, den die Mods (und Joy Division) bereitet haben. Dabei haben die Sleaford Mods sich in ihrer Karriere nie radikal geändert, klingen aber trotz ihrer natürlichen Limitierung als Duo und des gewollten Minimalismus auch auf diesem Album erneut anders als auf dem Vorgänger und die einzelnen Songs auf Spare Ribs sind abwechslungsreich und spannend. Mir gefallen diese Verspieltheit und Musikalität deutlich besser, als die sehr reduzierten und direkten Songs der Anfangszeit, als ich mit der Band weniger anfangen konnte. Wahrscheinlich klangen die Sleaford Mods noch nie so sehr wie eine vollständige (Rock-)Band, wie auf Spare Ribs. Das könnte noch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.


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