King Noel regiert Hamburg

Knapp zwei Stunden stand Noel Gallagher mit seinen High Flying Birds in Hamburger MEHR Theater auf der Bühne. Keine Sekunde davon war langweilig. Es kann nur einen geben!

Liam Gallagher brachte letztes Jahr sein wirklich mieses Album AS YOU WERE raus und konnte sich Seitenhiebe (gefragt oder ungefragt) auf seinen Bruder nicht verkneifen. King Noel hat da ein deutlich unverkrampfteres Verhältnis. Er weiß, sein, ein halbes Jahr später erschienenes Album, WHO BUILD THE MOON?, ist nicht nur das bessere Werk, sondern wird die Zeit, im Gegensatz zum Output seines Bruders, überdauern.

AS YOU WERE ist bereits jetzt Geschichte und verstaubt in den Regalen der Käufer und die unverkauften Exemplare in den Plattenläden. King Noel hingegen ist auf Tour und besuchte Sonntag Hamburg. Noch auf der Fahrt zum MEHR Theater erwähnte ich, dass ich keine OASIS Songs bräuchte, da King Noels Output mittlerweile, dem vom OASIS mindestens ebenbürtig ist.  Im Gegensatz zu seinem Bruder hat King Noel es geschafft, sich von der Band freizuschwimmen und hat seine ganz eigene Nische im Erwachsenen-Pop gefunden, die weder etwas mit Brit Pop, noch mit dem Alterswerk von Paul Weller zu tun hat. Liam hingegen versuchte mit den gescheiterten BEADY EYE den Sound von DEFINITELY MAYBE aufleben zu lassen und mit seinem Soloalbum an Großtaten, wie MORNING GLORY anzuschließen. Stagnation statt Aufbruch.

Natürlich wildert King Noel noch immer in der Pophistorie, hat er schon immer, und hat dabei mal mehr, mal weniger clever geklaut. Seine alte Band hat er längst hinter sich gelassen und einen eigenen Sound von Soloalbum zu Soloalbum entwickelt. Ex OASIS und EX BEADY EYE Gitarrist Gem Archer steht vielleicht auch deswegen in den Diensten von King Noels HIGH FLYING BIRDS. Und mit gleich zwei Organisten, zwei Backroundsinger, ein Dreimann Blässersatz, Bass und Schlagzeug, ist die Band opulent bestückt. So entsteht ein druckvoller Sound, der dauerhaft von Videoinstallationen auf einer halbrunden Leinwand begleitet wird.

Dass quasi Instrumental FORT KNOX eröffnet, wie das neue Album, den Abend. Der Sound ist noch etwas leise, was sich ab dem zweiten Song (HOLY MOUNTAIN) aber ändert, allerdings für einen verhaltenen Start beim Publikum sorgte. Es stand zu befürchten, dass gerade die Älteren, leicht grau melierten, in ihren alten OASIS oder MORRISSEY Shirts, sich das Geschehen zunächst einmal in Ruhe anschauen wollten. Lediglich ein paar Hände waren in der Luft zu sehen. Aber hey, wenn irgendjemand Hymnen schreibt, zu denen die Arme in die Luft gehören, und zwar dauerhaft, dann ist es verdammt noch mal King Noel.

Die ersten 20 Minuten gehörten konsequenterweise den Songs von WHO BUILD THE MOON. Vorbei die Zeiten, in denen ein Konzert mit einer OASIS B-Seite begann. Die neuen Songs sind zu gut, um sie in der Mitte des Sets zu verstecken. Bei IT’S A BEAUTIFUL WORLD laufen auf der Videoleinwand fiese Kriegsszenen, die den Text des Songs in ein ironisches Licht rücken. King Noel weiß, was in der Welt vor sich geht, wie privilegiert er (und wir) sind, ohne es ständig zu erwähnen oder gar Songs darüber zu schreiben. Er ist nun mal nicht der Vorzeigeproll, zu dem er gerne von den Nichtwissenden abgetan wird.

Es folgte ein Set aus drei Songs von CHASING YESTERDAY und dem Hit vom Debut IF I HAD A GUN, über den ich mich noch auf den Hinweg Lustig gemacht habe, weil der Reim GUN auf SUN einerseits typisch für King Noels Textverständnis ist, andererseits auch von einem Fünftklässler sein könnte. Jedenfalls spricht der King nach gut vierzig Minuten zum ersten Mal zu uns und kündigt gleich den ersten Song der alten Band an. Die Stimmung hatte sich zwischenzeitlich deutlich gebessert. Zumindest die ersten zehn Reihen, waren voll im Set. Und dann kam er, der unvermeidliche erste OASIS Song – LITTLE BY LITLE. Was soll ich sagen? Es war fantastisch: „True perfection has to be imperfect. I know its sound foolish, but it is true!“ Wie verdammt Recht er hat. Es ist so einfach! Gleichzeitig so gut! Wenn Musik schon einfach ist, dann reicht gut nicht aus, dann muss es perfekt sein. Diese Songzeile ist genau dies. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Wie zu besten OASIS Zeiten liegen sich alte Freunde in den Armen, schwenken halb leere (oder halb volle?) Bierbecher und grölen aus vollem Hals die Textzeilen mit.

Es gehört schon einiges an Mut und Können dazu, direkt danach mit DEAD IN THE WATER eine B-Seite aus dem aktuellen Album, praktisch alleine und akustisch vorzutragen und die Stimmung trotzdem oben zu behalten. Das Eis war gebrochen. Mehr Bier musste bei uns her, um die ganzen Emotionen zu verarbeiten. OASIS Songs hatten es also ins Set geschafft. Hauptsache nicht WONDERWALL und DON’T LOOK BACK IN ANGER, sagte ich mir, welche natürlich beide an unterschiedlichen Stellen im Set kamen, soviel sei schon mal verraten. Zu meiner Schande muss ich gestehen, beide Songs machten Spaß, der komplette Saal stand und sang aus vollem Hals mit, im Fall von WONDERWALL gar überwiegend den gesamten Text. An dieser Stelle fragte ich mich, wenn King Noel keine Lust auf das Stück hatte, hätte er es vielleicht ganz weglassen können. Dann gab es noch HALF THE WORLD AWAY, noch nie live gehört. „You can’t give me the dreams, they are mine away!“ Wieder so eine einfache, aber perfekte Zeile. Hier hätte alles zu Ende sein können, war es aber zum Glück nicht.

Ab diesem Zeitpunkt gab es ein wildes Gemisch aus aktuellen, Solo und OASIS (insgesamt sechs Stück) Songs zu hören. Als letzte Zugabe kann King Noel es nicht lassen und covert sein großes Idol und vermutlich die einzigen Musiker, die er als ebenbürtig ansieht: ALL YOU NEED IS LOVE von THE BEATLES. Geht es simpler? Nein, aber auch hier greift wieder ein Perfektionismus. Kein anderer Song wäre zum Abschluss passender gewesen, als dieser. Und erneut beweist King Noel, dass ihm sehr wohl bewusst ist, was da draußen in der Welt los ist. So entlässt er uns mit einer simplen, aber allumfassenden, Message in die laue Aprilnacht.

King Noel hat bewiesen, dass er (im Gegensatz zu seinem Bruder) kein Relikt aus den Neunzigern und frühen Zweitausendern ist, sondern voll in der Gegenwart steht. Musikalisch, menschlich und politisch. Wer es nicht begreift, ist selber schuld.


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