Besucherrekord beim Reeperbahn Festival 2016

Das größte Clubfestival Europas und zudem wichtigster Treffpunkt der Veranstaltungs- und Musikbranche lockte mehr als 38.000 Besucher aus 40 Nationen auf die Reeperbahn

Foto: Lisa Meinen

Hamburg. Die Müdigkeit dürfte heute noch den ein oder anderen überrümpeln, auch wenn das Reeperbahn Festival grundsätzlich anders ist. Genächtigt wird nicht im Zelt oder Camper, Ravioli auf dem Gaskocher wird man hier nicht sehen. 4 Tage Festival auf der Reeperbahn, über 400 Acts und mehr als 20 Locations bot das Programm für Besucher. Ein Festival mitten in der Stadt, auf dem sich Musiknerds und Branchenprofis gleichermaßen versammeln.

Auf dem Reeperbahn Festival gibt es keine großen Headliner, hier geht es um Newcomer. Die Acts von morgen, talentiert und mitreißend. Als Überraschungsact ließ sich am Freitagabend dann aber doch noch ein großer Act zeigen – Biffy Clyro waren Special Guest bei der Warner Music Night im Docks. Aber fangen wir mal ganz von vorne an.

Ein Sprachrohr für kleine Festivals – das Festival Kombinat gründet sich
Es ist Mittwoch, kurz um die Mittagszeit. Auf dem Spielbudenplatz bauen die letzten Stände auf. Die ersten Besucher haben bereits ihre Bändchen geholt, doch so richtig los geht es erst am Abend. Nachmittags treffen sich die ein oder anderen Booker, Veranstalter oder Promoter auf ein erstes Bier. Im Salon des Schmidt’s Theater wird derweil ein Verein gegründet. Es geht natürlich um Festivals. Zusammengefunden haben sich viele Macher von kleineren und mittleren Festivals, die sich zukünftig zusammen tun wollen. Es soll vermehrten Wissensaustausch geben, zusammen Materialien bestellt werden oder über Trends gesprochen werden. Festival Kombinat nennt sich das zukünftig. Oder offiziell gesehen: Verband deutschsprachiger Festivals e.V.

Nachdem auf dem N-Joy Reeperbus der Däne Alex Vargas bereits am Nachmittag ein kurzes Set spielte, durfte der Herr das Docks am Abend eröffnen. Eigentlich kein Geheimtipp mehr, denn mit seiner ersten Single „Shackled Up“ landete der Däne direkt auf Platz 1 der iTunes-Charts in Dänemark. Seine Performance überzeugt, Alex Vargas lebt seine Musik und fühlt sich in seine Werke herein. Begleitet wird er live von einem Gitarristen, der auch gelegentlich die Keys spielt.

Direkt auf Alex Vargas folgen Blossoms aus Manchester. Es scheint, als wenn Sänger Tom Ogden sich einiges bei Alex Turner von den Arctic Monkeys abgeschaut hat – Haltung, Bewegung und Gitarrenspiel erinnern an den Sänger der britischen Band. Mit ihrer Mischung aus Rock und Pop locken die Jungs viele Besucher ins Docks und spielen ihr Set weitergehend spektakulär runter – Songs wie „Charlemagne“ und „Getaway“ gehen direkt ins Ohr und weiter in die Beine. Die Band ist musikalisch mit bestechend einfachen Melodien unterwegs, aber definitiv eine der Band, die man in Zukunft auf dem Zettel haben muss.

Volle Locations und spontane Entdeckungen. The Hunna sind unser Highlight!
Bands, die man auf dem Zettel haben muss gab es am Wochenende einige. Am Mittwoch zum Beispiel noch Declan McKenna, der im Kukuun spielt oder Nothing, die in der Molotow-Skybar auf der Bühne stehen. Doch bereits am vermeintlich am schwächsten besuchten Tag gibt es Schlangen und Einlassstopps. Wir suchen uns daher den Weg ins Molotow zu The Hunna aus London und bereuen diese spontane Idee nicht. Dieses Konzert soll unser Highlight des Wochenendes werden.

The Hunna spielen einen kompromisslosen und enthemmten Brit-Pop, den die Band mit voller Energie auf die Bühne bringt. Man sieht der Band sofort an, dass sie liebt, was sie tut. Und in der ersten Reihe fanden sich sogar junge Damen, die alle Texte mitsingen konnten. Das überraschte auch die Band. Beim vergleichsweise ruhigen Song „She’s casual“ hörte man die Fangirls dann sogar lauter als Frontmann Ryan, uns gefällt das – das war ein überraschend schöner Auftritt. Die Chefs der großen Labels werden nach dieser Band greifen müssen – da geht was.

Auf Grund technischer Probleme verzögerte sich der ersehnte Auftritt von Drangsal im Mojo, also bekommen wir noch einige Songs auf dem Heimweg mit. Der Pfälzer Max Gruber ist derzeit in vieler Munde, Vergleiche zu Depeche Mode oder The Smiths wagt der ein oder andere sogar zu nennen. Uns erinnert die Stimme teilweise stark an Robert Smith von The Cure. Machen wir mit dem Namedropping einfach weiter: Metallica. Ok, aber da ist Drangsal selber schuld – als letzten Song covert die Band ziemlich hörenswert „For Whom The Bell Tolls“.

2016 war für viele Veranstalter ein Jahr der Herausforderungen
Neben all den Konzerten ist das Reeperbahn Festival aber auch mit spannenden Vorträgen und Konferenzen bestückt. Am Donnerstag geht es im Schmidt’s Theater beispielsweise um die Festival Saison 2016. Zu Gast sind Organisatoren und Booker vom Lollapalooza Berlin, Pohoda und Roskilde Festival. Die Einblicke sind nicht überraschend, aber dennoch interessant. Fruzsina Szép (Lollapalooza Berlin) spricht von dem härtesten Organisationsjahr in 20 Jahren Karriere. Über 16 Behörden wurden für das Stadtfestival eingebunden, viele Sicherheitsstandarts wurden auf eine ganz neue Ebene transferiert. Während man in Berlin vor allem Probleme mit der Location hatte, kam Michal Kaščák vom Pohoda Festival in Slowenien erneut beim Booking ins Schwitzen. Im April war noch kein großer Act bestätigt, Vorrang kriegen große Agenturen wie FKP Scorpio bei der Freigabe. Dies ist jedes Jahr aufs neue eine große Probe für ihn.

Aber auch das dänische Roskilde Festival, welches eines der ältesten und bekanntesten überhaupt ist, hat es beim Booking nicht einfach gehabt. Anders Wahrén ist für die Programmgestaltung zuständig und bekam erstmals keinen großen Act. Er spricht von „einer neuen Generation an Headlinern, die wir aufbauen müssen“. Dazu zählten beim Roskilde in diesem Jahr Künstler wie New Oder, Tame Impala oder PJ Harvey. Er rechnet nicht damit, dass sich in Zukunft viele große Headliner buchen lassen. „Die großen Künstler spielen lieber ihre eigenen Stadionshows“, so Wahrén weiter.

Musikalische Empfehlungen für die Donnerstag waren unter anderem die jungen Giant Rooks mit ihrem Pop-Rock á la Alt-J oder Arcade Fire. Gerade mal um die 17 Jahre ist die Band im Durchschnitt. Die Bude war voll. In der Prinzenbar spielten derweil Yung aus Aarhus, Dänemark. Schrammelige Gitarrenmusik zwischen Punk und Indie, aber ziemlich unterhaltsam. Als Teil des „bayerischen Abends“ im Sommersalon durften auf die gar nicht mehr so unbekannte Kytes ran, die mit „on the run“ die erste EP gerade erst veröffentlichte. Bei YAK und Telegramm war das Molotow dann mal wieder wegen Überfüllung geschlossen. Unsere Redaktion lässt sich in der imposanten St. Pauli Kirche nieder und lauscht den Tönen der niederländischen Band Black Oak. Die Musik zwischen Folk und Singer-/Songwriter verspricht einen tollen Abschluss des Donnerstags und sollte nicht enttäuschen. Die CDs und Schallplatten der Band gingen nach dem Gig wie heiße Semmel weg, die Band wusste zu überzeugen in der einmaligen Atmosphäre.

Als letzten Künstler schauten wir uns die viel umjubelten WOMAN aus Köln an. Wir müssen aber am Boden der Tatsachen bleiben. WOMAN waren die wohl erste Band, die für den Soundcheck länger als für den Auftritt selber brauchten. Neben der teilweise noch unreif wirkenden Bühnenpräsenz gab es unüberlegt unlustige Kommentare. Die Nummer hätte man sich sparen können.

HEEEEELGA! – das Feel Festival räumt bei den Helga-Awards ab
Neben all der Livemusik wurde am Donnerstag ebenfalls der HELGA-Award verliehen. Bereits zum vierten Mal – in 7 Kategorien. Zu den Preisträgern gehören Hurricane (Bestes Festival), Fusion (loderndste Liebe zum Detail), Open Flair (Netteste Security), emotionalster Moment (Highfield) und Dockville (Größtes Zurechtfinden). Als Überraschung gewann das wunderbare FEEL-Festival gleich zwei Awards. Gewonnen hat das mit viel liebe gestaltete Festival die Kategorien „bestes Camping“ und „wundervollstes Entleerungs-Erlebnis“. Damit konnte das noch junge Festival dem ein oder anderen großen Veranstalter ein wenig die Show stehlen. Musikalische Auftritte während der Verleihung gab es von MEUTE, Aydo Abay und Bernd Begemann. Noch bis in die Nacht feierten die Preisträger mit Astra und Jägermeister eine feucht fröhliche Nacht.

Es ist bereits Freitag. Während die ein oder anderen noch den Kater aus der Vornacht ausschlafen, treffen sich die ersten Besucher und Promoter auf dem Spielbudenplatz auf ein Bier. Schönstes Festivalwetter eigentlich im Spätsommer.

Im Panel „Alternative Entertainment“ sorgen Einblicke in Live-Events wie Gaming-Veranstaltungen oder Comic-Messen, sowie Food-Events für Aufsehen. 45.000 Besucher bei einer Gaming-Veranstaltung im Frankfurter Stadion. 1.000.000 Euro Preisgeld – verrückt. Das dürften vielen entgangen sein, scheint aber die Zukunft zu sein.

Nachdem The Slow Show mit ihrer äußerst markanten Stimme und Musik auf dem N-Joy Reeperbus ein kurzen Set spielen, ehe es am Abend ins Imperial-Theater geht, freuen sich die ersten auf das Set von Pete Doherty im Bahnhof Pauli.

Peter Doherty? Der kommt doch eh nicht!
DER Pete Doherty? Ja, der Frontmann der Babyshambles und Libertines sollte tatsächlich kommen. Da der Brite in der Vergangenheit aber schon bei vielen Auftritten nicht, total auf Drogen oder viel zu spät kam, wurde noch ein wenig gescherzt, ob er denn wirklich kommt. Man weiß ja nie. Und dann: die äußerst nützliche Reeperbahn-App sendet eine Push-Nachricht auf alle Smartphones: „Konzert von Peter Doherty ist leider abgesagt“. Na wer hätte das erwartet…

Neben dem Festivalpublikum vermischt sich nun auch mehr und mehr das normale Partypublikum entlang der Vergnügungsmeile. An der Großen Freiheit ist eine Schlange, die fast bist zum Beatlesplatz reicht. Von Wegen Lisbeth sollen dort gleich spielen, die Türen sind noch zu. Die Erwartungen jedoch hoch. Die Band machte sich in diesem Jahr einen ordentlichen Namen, supportete sogar AnnenMayKantereit. Doch heute wirkt der Auftritt der jungen Berliner fast ein wenig wie ein Headlinerauftritt. Die Große Freiheit ist komplett voll, die Besucher kennen die Texte. Der junge Mann am Mikro freut sich wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Beim dritten Song „Sushi“ beweist sich das Festivalpublikum als äußerst Textsicher – zu recht schallt es „Krasse Nummer Hamburg“ mit einem immer größer werdenden Grinsen aus dem Munde von Sänger Matthias Rhode.

Währenddessen kommt es in der Prinzenbar mal wieder zu einem Einlassstopp. ISLAND aus London sind der feine Grund. Irgendwo zwischen Blues, Pop und Indie bewegt sich die Band, die gerne mal stimmlich mit Luke Pritchard oder den Arctic Monkeys verglichen wird. Ganz so schnell und tanzbar finden wir das nicht, aber dennoch verdammt gut. Die Band macht zum Herzen gehende Songs, die vom lässigen Gitarrenspiel geprägt sind.

Der Spielbudenplatz ist nun komplett voll, dennoch kommen wir in den Sommersalon, in dem die Schweizer Bleu Roi spielen. Als Einflüsse nennt die Band Bon Iver oder Daughter. Schnell verzaubert die herausragende Gesangstimme von Jennifer Jans, die nebenbei die Keys und Gitarre spielt.

Biffy Clyro sind Special Guest bei der Warner Music Night
Später am Abend kommt es im Docks zum Überraschungskonzert der Glasgower Band Biffy Clyro. Man musste frühzeitig da sein, um einen Platz zu bekommen. Doch wer dabei war, dürfte wohl eine der letzten Möglichkeiten genutzt haben, die Band nochmals im kleinen Rahmen zu sehen. Simon Neil ist eine absolute Wucht live und seine Band „Biffy fucking Clyro“ zeigt an diesem Abend, warum man einen Monat vorher noch vor 70.000 Besucher das Reading Festival in England headlinen durfte. Die Band holt wirklich alles aus der angesetzten Zeit, fängt gar früher an und spielt länger. Das neue Album „Ellipsis“ stellt natürlich einen wichtigen Baustein im heutigen Set dar – so richtig will der Funke aber doch nur bei den älteren Songs überspringen.

Am Samstag schauen wir uns Ray’s Reeperbahn Revue im Schmidt’s Theater an. Eine Livesendung mit Ray Cokes, einem ehemaligen MTV-Moderator und absoluten Musikfan. Typischerweise spielen Bands aus dem Line Up während der Show – heute sind es Villagers, Walking on Cars, The Head and The Heart, sowie Wild Beasts. Ein starkes Programm für diese Show, bei der die Acts je zwei Songs akustisch vortragen. Den Anfang macht der Ire Villagers, der im Gespräch mit Cokes verrät, dass das aktuelle Album „Where Have You Been All My Life?“ in nur einem Tag aufgenommen wurde. Beeindruckend sind auch Walking on Cars, ebenfalls aus Irland, die ihre beiden Radiohits „Speeding Cars“ und „Catch Me If You Can“ spielen und das Publikum damit sehr glücklich machen. Mit dem Album „Everything this Way“ ist man zur größten Band Irlands geworden, scherzt Ray Cokes. Doch tatsächlich schaffte man es, Adele von Platz 1 der Charts zu verdrängen. Am Abend spielten die Iren im Docks ein großes Konzert.

Der Samstag hatte viel zu bieten, man hätte viel zu vielen sehen können. Nachdem die Band causes aus Amsterdam im Häkken ein ziemlich beeindruckendes Konzert spielten, musste man sich zwischen vielen tollen Bands entscheiden. Für uns ging es in Hamburgs größte Kirche, der St. Michaelis Kirche. In diesem imposanten Bau spielte Villagers ein großes Konzert, getragen von der Atmosphäre dieser großen Kirche.

Zum Abschluss ging es für uns noch einmal ins Terrace Hill, wo die Briten von Moose Blood ein kurzes Punkrock-Feuerwerk abfeuerten, ehe das Reeperbahn Festival beendet war.

Das Reeperbahn Festival ist eine Plattform für Talente
Treffender als Produzentenlegende Tony Visconti kann man den Kern des Reeperbahn Festivals nicht auf den Punkt bringen: „Das Reeperbahn Festival ist eine Investition in neue Talente.“ Und damit eine direkte Investition in die Zukunft der Musik. Dieses Konzept begeisterte Fans und Branchenvertreter bereits zum 11. Mal und machte Hamburg damit erneut für vier Tage zum Zentrum des internationalen Musikgeschehens. 38.000 Besucher in vier Tagen, davon 4.400 Fachbesucher aus 40 Nationen konnte das Reeperbahn Festival 2016 begrüßen – ein absolutes Rekordjahr.

Tickets für 2017 ab sofort verfügbar!
In 2017 liegt der Länderschwerpunkt bei Kanada, die für großartige Musik bekannt sind. Tickets für das Reeperbahn Festival 2017, 20.-23. September, sind ab sofort erhältlich.

 


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