100 Kilo Herz – Stadt, Land, Flucht, BFR 2020
100 Kilo Herz mit Referenzen gegen Tristesse auf dem zweiten Album der Punkband.

100 Kilo Herz, freut sich das Hirn, das weckt Erinnerungen. So ging doch mal ein Song, lang, lange ist es her: „ein 100 Kilo Herz schlägt auf dich ein“; hieß es, im besagtem Lied. Und dann ein Blick auf das Rückcover, mit der Tracklist – „… und aus den Boxen“ – nein, nicht Oasis, sondern „…But Alive“ als neuntes Stück. Was nun folgt, ist ja praktisch klar, denkt das Vorurteil, selbstsicher, wie das bei Vorurteilen so ist, nie werden sie von Zweifeln begleitet. Und schon im ersten Song wird alles auf den Kopf gedreht. Einzig die deutschen Texte weisen eine Gemeinsamkeit mit den genannten Referenzbands auf. Allerdings schreiben 100 Kilo Herz direkter, verlieren sich nicht in Umschreibungen und Metaphern, und sind damit näher am Zeitgeschehen. Zumindest, wenn sie sich zu politischen Themen äußern. Wobei die Adressaten der Ansagen meistens wage gehalten werden. „Ihr kauft die Bild und findet gut, was da steht“, „Eure ironischen Witze sind voll im Trend und der Griff an die Hüfte war doch nur ein Kompliment“, „Und kein Neonazi, der im Landtag Geld verdient“. Jeder weiß, wer gemeint ist, ohne das es ausgesprochen wird. Nur bei dem schon immer öden Xavier Naidoo geht es konkret um eine Person, selbst wenn der Name nicht fällt, nur die Erwähnung „der Sohn aus Mannheim“.
Der überwiegende Teil der Texte befasst sich allerdings mit persönlichen Themen wie Liebe, Aufbruch, Ankunft, Verlust und Alltag. Was das Leben eben ausmacht. Und dann schließlich „… und aus den Boxen … But Alive“. Der Song bezieht sich auf „Beste Waffe“ von eben jenen …But Alive, welches eine lahme Party beschreibt, von der der Protagonist schnell verschwinden möchte, weil er aus dem Ganzen rausgewachsen ist, ehe er sich dazu entschließt Drogen anzubieten und selber zu nehmen. Der Soundtrack dazu „und aus den Boxen Guns n Roses und ob du lachst oder weinst, gleich gibt es Simple Minds“.
Bei 100 Kilo Herz ist zumindest die Musik besser, schließlich laufen „…But Alive“, ansonsten wird reichlich Alkohol und die dargebotenen Lines konsumiert. Und statt abzuhauen, wird Nähe gesucht, „weil der Abend so vielleicht besser werden kann.“
Musikalisch ist der druckvolle, aber stets melodiöse Punkrock mit einem festen Bläsersatz untermalt, der eine weitere Klangfarbe, in das von Kurt Ebelhäuser produzierte Album bringt. Genau damit unterscheiden sich 100 Kilo Herz von den zwei eingangs genannten Bands.
In dem Stück „So was wie ein Testament“ findet die Ehrerbietung für Marcus Wiebusch dann seinen Höhepunkt, wenn es in dem Lied heißt: „Und alles, was ihr über Begräbnisse wissen müsst, hat Marcus Wiebusch schon gesagt“. Dabei kann sich der Texter dieser Zeile eigentlich nur auf den Song „Zurück aus Ohlsdorf“ von der …But Alive Nachfolgeband Kettcar beziehen. Allerdings wurde das Stück nicht von Wiebusch, sondern vom Bassisten Reimer geschrieben (wie Kollege pfa kurz vor Mitternacht per SMS auf Nachfrage des Autors dieser Review mitteilte). (EDIT: 100 Kilo Herz haben uns den kleinen Tipp gegeben, dass sich die Textzeile auf den Kettcar Song „Hauptsache Glauben“ bezieht, genauer „auf jedem Begräbnis gibt es einen guten Lacher“.)
Und auch ohne eine Verneigung vor Muff Potter kommt diese Platte nicht aus. In der Dystopie des Schlussstückes, müssen die Menschen fliehen „über Halle und Saalfeld nach Gütersloh“…“und bevor dieses Land ein Schlachtfeld ist, sind wir hoffentlich in Den Haag“. In dieser Hinsicht ähneln 100 Kilo Herz dann doch ihren Vorbildern, denn vor allem Marcus Wiebusch bezieht sich in seinen Liedern immer wieder auf Pop-kulturelle Phänomene oder übersetzt prägnante Textzeilen aus dem Englischen ins Deutsche, um diese in den eigenen Kontext zu setzten.
Geht klar das Ding!
Am Samstag, den 23. Oktober treten 100 Kilo Herz in Bremen im Tower Musikclub auf!
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