Wie eine Bremer Band 2022 sechsmal beim Wacken Open Air spielte
Das Bremer Rock-Duo Below Zero hatte im vergangenen Sommer ein besonderes Wacken-Erlebnis und profitiert bis heute von den Erfahrungen.

Bremen. Den wohl wichtigsten Anruf seines Lebens bekam Jonathan Frach gegen drei Uhr morgens. Ein knappes Jahr, nachdem er mit seinem Bandkollegen Max Gärtner erstmals zu zweit auf einer Bühne stand, klingelte mitten in der Nacht sein Telefon. Er ging zunächst nicht ran. Wenig später erreicht ihn eine Nachricht: „Möchtet ihr mit Below Zero beim Wacken dabei sein?“. Der Absender: Sein Bekannter Dominik Wrhel, Betreiber des Kulturhauses Break Out in Asendorf, der in sehr gutem Kontakt mit dem Gründer des Wacken Open Air steht. „Zuerst habe ich es gar nicht gecheckt und dachte, es werden noch Helfer für das Festival gesucht“, erzählt Jonathan. Es ging aber tatsächlich um Auftritte. Und zwar nicht um einen, sondern um sechs an der Zahl. Auf einer kleinen Bühne am Rand des Festivalgeländes. „Da wir nur zu zweit sind, würde es mit uns sehr gut passen. Wir konnten es zuerst überhaupt nicht glauben“, ergänzt Max.
Ihr erster Auftritt zu zweit liegt zu diesem Zeitpunkt erst knapp ein Jahr zurück. Mit ihrer früheren Band ExBlended haben sie Bühnenerfahrung im Bremer Rathaus gesammelt, mit der beginnenden Corona-Pandemie ging es zu zweit weiter – zunächst als Zeitvertreib, dann mit immer mehr Ambition. Gleich bei einem ihrer ersten Konzerte als Duo, gewinnen Below Zero das renommierte Bremer Schulrockfestival, später spielen sie bei der Breminale und beim Überseefestival. Aber auf dem Wacken? Dem legendären, sagenumwobenen Open-Air? Einem der größten Heavy-Metal-Festivals der Welt?
So entsteht der besondere Band-Sound
Dabei liegt die musikalische Welt der heute 18- und 20-jährigen Bremer nicht wirklich im Metal-Universum. Vielmehr bezeichnen sie ihren Stil als „Alternative Garage-Rock“. Während Jonathan Gesang und Schlagzeug übernimmt, findet man Max an der Gitarre. Mit geschlossenen Augen lässt sich hinter ihren Songs eine ganze Band vermuten. Max‘ Gitarrenspiel erzeugt einen zweistimmigen Gitarrensound mit zusätzlicher Basslinie. Wie das geht? Das Signal der Gitarre wird mit einer „Y-Weiche“ geteilt. Eine Hälfte wird mit einem Octaver um zwölf Halbtöne vermindert, dieses Signal führt in den Bassverstärker. Das verbliebene Gitarrensignal wird erneut geteilt und führt in zwei verschiedene Gitarrenverstärker. Durch diese Effekte entsteht ein dreistimmiger Sound.
Alle drei Verstärker sind individuell ansteuerbar. Verbunden mit einem dynamischen Schlagzeugspiel, erzeugt das Duo so verschiedene Sounds, individuelle Momente, Spannungen und Abwechslung. „Wir wollen mit kleiner Besetzung so groß wie möglich klingen“, berichtet Max. „Die Grundidee hat sich relativ schnell ergeben, an der finalen Ausarbeitung haben wir sehr lange getüftelt, viel ausprobiert, geplant und uns weiterentwickelt“. Bis heute muss das Set-Up sehr häufig geprobt werden und live sind für den 18-jährigen durch unzählige Knöpfe auf dem Pedalboard viele Wege nötig und hohe Konzentration erforderlich. „Da braucht man Abitur für“, hat mal ein Besucher nach einem Auftritt im Meisenfrei gesagt.

Wenig Zeit für Vorbereitungen
Anfang August 2022 soll es also in die Gemeinde Wacken nach Schleswig-Holstein gehen. Erfahren haben die beiden davon gerade einmal zwei Wochen vorher. Nicht viel Zeit für Vorbereitungen. „Wir wollten diese Chance unbedingt nutzen und haben innerhalb von einer Woche eine EP selber produziert“, erzählt Jonathan. Im kompletten DIY-Stil werden Songs ausgewählt und aufgenommen und zusammen mit Live-Aufnahmen im eigenen CD-Laufwerk gebrannt. Eine Demo-CD, um den Leuten etwas in die Hand geben zu können. „This Is Just A Test“ steht drauf. Als sie Sticker drucken lassen und der Vertrag vom Wacken im Mail-Postfach landet, realisieren sie langsam, dass dieses Abenteuer bald wirklich bevorsteht. Zusammen mit ihren Vätern leihen Jonathan und Max sich einen Transporter und machen sich Anfang August auf den Weg Richtung Norden.
Angekommen auf dem riesigen Festivalgelände ist es gar nicht so leicht, sich zurechtzufinden. Below Zero spielen auf der Wasteland-Area inmitten von postapokalyptischen Bauten, verkleideten Menschen in dazu passenden Kostümen und Fahrzeugen. Eine kleine Bucht und eine völlig eigene Welt mit zwei vorne offenen, im Winkel zueinander stehenden Containern, die nur durch Gitterstäbe geschlossenen sind. Darin stehen die beiden Musiker, umzu qualmende Motoren, Flammenwerfer und die Show der sogenannten „Wasteland Warriors“. Laute Musik in einem auffälligen Rahmen, gegenseitig werden Zuschauer angelockt und es ist ein angenehmes Zusammenspiel mit einem gemeinsamen Publikum.
Improvisation und Flexibilität sind gefragt
„Dominik hatte uns in der Planung erzählt, dass wir unbedingt alles mitnehmen müssen. Vor Ort war nur das Wacken, die Bühne und eine kleine Anlage mit Lautsprechern“, berichtet Max. Also bringen die beiden ihr ganzes Equipment zum Auftrittsort und richten sich ein. Improvisation und Flexibilität sind gefragt. Tontechniker gibt es an dieser Stelle des Festivals nicht, nur ein 2-Kanal-Mischpult, da in den Zeiten ohne Live-Auftritte Musik abgespielt wird.

Below Zero sollen insgesamt sechsmal auf dieser Bühne spielen, an drei Tagen jeweils um die Mittagszeit und abends. In ihrem Käfig sind sie in dieser Zeit die einzige Band, können zwischen den Shows also alles weitestgehend stehenlassen. Zwei Tage lang spielen sie für die früh anreisenden Wacken-Besucher, an ihrem dritten Tag ist schließlich der ganz offizielle Festivalstart. Zunächst starten sie also als einer der ersten Acts des ganzen Festivals, als Unterhaltungsprogramm für die Leute, die schon vor dem offiziellen Beginn vor Ort sind.
Da dies 48 Stunden vorher nur eine überschaubare Personenzahl ist, betiteln Below Zero ihren ersten Auftritt als „Soundcheck“. In der Nachmittagshitze der August-Sonne werden die Leute neugierig, bleiben kurz stehen und gehen weiter. Musikalische Untermalung nach dem Zeltaufbau. Aufgabe erfüllt! Beim zweiten Mal am frühen Abend steigert es sich langsam, ein paar Leute verweilen länger vor den Bühnenkäfigen. „Eine kleine Gruppe hat uns angesprochen und ist tatsächlich noch zu einem weiteren Auftritt gekommen“, erinnert sich die Band.
Interaktion mit dem größer werdenden Publikum
Am zweiten Morgen ist es naturgemäß wieder ruhiger, aber schon eine Steigerung zum Tag zuvor, abends bildet sich erstmals ein richtiges Publikum. Durch die geringe technische Ausstattung spielen Below Zero bis hierhin instrumental, nach erfolgreichem Warm-Up entschließen sie sich nun dazu, es mit Gesang zu probieren. Das Mikrofon sowie die akustische Verstärkung der Bassdrum führen in das kleine 2-Kanal-Mischpult und erzeugen ein Drücken, die Gitarre ist mit aufgedrehten Amps schon laut genug. Die Stimmung in der Wasteland-Area wird immer besser. Die Band nutzt die Chance, um sich in Publikumsinteraktion auszuprobieren. „Es war richtig schön, wie viele Leute uns zugesehen haben“, erinnert sich Jonathan. „Über jeden einzelnen haben wir uns gefreut.“ Es sollten im Laufe des Abends immer mehr werden.

Zu zweit live zu spielen, ohne sich in den getrennten Bühnenkäfigen zu sehen, ist ein Experiment und eine Herausforderung. „Bei unserer Bühnenshow beruht viel auf Blickkontakt. Wir geben uns Zeichen und verständigen uns über Blicke und Gesten“, berichtet Max. Durch eine gute musikalische wie menschliche Verbindung sei ihnen die ungewöhnliche Situation aber vergleichsweise leicht gefallen.
Den dritten Tag eröffnen Below Zero bereits um 11:00 Uhr und blicken in einige bekannte Gesichter vom Abend zuvor. Es entwickelt sich zur kleinen Tradition, dass der Auftritt morgens die Werbung für die Show am Abend ist. Nach den Auftritten konnte das Duo sich gut mit den Zuschauern bei der Bühne unterhalten und auf die nächsten Konzerte hinweisen. „Über dieses Feedback, die Leute bei unseren Konzerten wiederzusehen, haben wir uns riesig gefreut“, so Jonathan.
45 Minuten pro Auftritt waren ursprünglich geplant. Da in der Wasteland-Area an den drei Tagen außer Below Zero aber keine Band spielt, hat sie nach Ablauf der Dreiviertelstunde niemand aufgehalten. Wenn das Publikum noch Lust hat, gingen die Shows durchaus länger. So entspannte Slots völlig ohne Zeitdruck hat man wohl nur einmal im Leben. Der letzte von sechs Auftritten ist schließlich ein wenig eskaliert. Es ist der erste „richtige“ Wacken-Tag, das Gelände ist voll, aus jeder Ecke, von jeder Bühne kommt Geballer. Um die beiden Käfige ist eine eigene Community entstanden, es ist nach 22:00 Uhr und dunkel, als Max und Jonathan zum letzten Mal an diesem Wochenende an ihre Instrumente gehen. „Das Krasse für uns war, es haben Leute auf uns gewartet. Das war der Moment, in dem wir realisiert haben, die mögen uns wirklich“, berichten sie.
Der verrückteste Auftritt ihres Lebens
Was dann passiert, ist der bis heute verrückteste Auftritt ihres Lebens und ein Moment, der ihnen für immer im Gedächtnis bleiben wird. Die Besucher werden zu Fans, jubeln ihnen zu, wollen Zugaben ohne Ende. Zwei Stunden statt 45 Minuten und neun Zugaben werden es am Ende sein. Eine enorme Power entfaltet sich. Die erste „Wall Of Death“ jemals für die Band entsteht, ebenso ein Moshpit zum Song „Closer“. Max steht mit seiner Gitarre mitten im Circle Pit. Es ist wie ein spielstarker Rausch, eine krachende Soundwand. Alle haben Bock, sind motiviert, bei einem fetten Drop fliegen volle Bierbecher durch die Luft. Passiert das hier gerade wirklich?
Band und Publikum motivieren sich gegenseitig. Durch die direkte Nähe entsteht eine persönliche Verbindung. Jonathan spielt sich die Hände an den Drums blutig, Max reißt eine Saite seiner Gitarre. „Wir haben so lange gespielt, bis es wirklich gar nicht mehr ging. An so ein Limit bin ich noch nie gekommen“, erzählt Jonathan. Zum Abschluss tauschen sie für einen Song ihre Instrumente und covern „Iron Man“ von Black Sabbath. Danach kommen sie noch ins Gespräch mit den Leuten, die ihnen bis eben noch zugejubelt haben. Ganz neue Erfahrungen, zum ersten Mal Bilder zu machen und Autogramme zu geben. „Ich war total überfordert mit der Situation und habe eher mit entspannten Unterhaltungen gerechnet. Aber die Leute wollten signierte Sticks und Unterschriften auf ihren T-Shirts und Sneakern“, so Jonathan.
Dankbarkeit für diese Erfahrungen
Rückblickend auf die Tage beim Wacken, merkt man der Band immer wieder die Dankbarkeit für diese Erfahrung an, gerade auch bezogen auf die Menge der Auftritte. „Es war wie eine Fortbildung, sich auszuprobieren“, fasst Jonathan es zusammen. Durch die Menge an Shows und Eindrücken konnten sie viel ausprobieren, Erfahrungen sammeln und eine Lernkurve erkennen. Im jungen Stadium als Band sei dies wahnsinnig wertvoll. „Obwohl Missverständnisse in der Organisation bei so einem Programm natürlich nicht ganz ausbleiben, haben wir riesigen Spaß gehabt und es waren drei Mega-Tage. Wir fühlen uns unfassbar geehrt, dass wir dabei sein durften.“ „Es war bis jetzt das schönste Erlebnis, das ich jemals hatte. Wir haben viele coole Auftritte gehabt, aber das steht über allem“, pflichtet Max ihm bei.
In den Monaten nach dem Wacken-Erlebnis haben Below Zero ihre erste Single „Eleven“ mit Musikvideo veröffentlicht, der zweite Song „Bury The Hatchet“ steht aktuell in den Startlöchern. Am 22. Juni spielen sie ein eigenes Konzert im Eisen und werden in der Kneipe im Viertel ordentlich einheizen. Zwei Tage später stehen Auftritte bei der Kieler Woche und beim Rock-Cyclus in Bremerhaven an. Und wer weiß, vielleicht sieht man sie eines Tages wieder beim Wacken Open Air.
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