Andreas Bovenschulte im Interview

Es war einiges los am vergangenen Wochenende, vor allem im Bremer Steintorviertel, höchste Zeit mal mit jemanden zu sprechen, der auch was zu sagen hat.

Bremen. Die Bilder, Videos und Beiträge auf den sozialen Netzwerken von u.a. dem Eisen, Coffee Corner oder der Heldenbar, allesamt in der Nähe der Sielwallkreuzung angesiedelt, gingen am vergangenen Wochenende viral. Höchste Zeit sich einmal mit unserem Bürgermeister Herr Bovenschulte zu unterhalten und seine Meinung zu hören, und wenn er schon mit uns redet, ein paar weitere Fragen zu der aktuellen Situation zu stellen. Er hat geantwortet:

 

Am vergangenen Wochenende kam es zu massiven Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen im Steintorviertel. Die Betreiber*innen von Lokalen fürchten nun weitere Einschränkungen des Geschäftsbetriebes. Was haben Sie den Betreiber*innen zu entgegnen, die Sie auf den sozialen Medien auf ein Bier eingeladen haben, um sich persönlich ein Bild zu machen? Werden Sie die Einladung annehmen?

 

Selbstverständlich nehme ich die Einladung an und höre mir die Sorgen und Nöte der Viertel-Wirte an. Zumal ich ja in der Nähe wohne und dort nach Feierabend gelegentlich unterwegs bin. Um deshalb eins gleich vorweg zu sagen: Wir wollen den Wirten das Geschäft nicht vermiesen. Nicht nur, weil sie es sowieso schon schwer genug haben. Sondern auch, weil sie ja nichts dafür können, wenn sich die Menschen auf den Gehwegen und Straßen nicht an die Regeln halten. Wir haben deshalb freitags, sonnabends und vor Feiertagen ab 22:00 Uhr den Alkoholverkauf außer Haus verboten. Und zwar in Teilen des Viertels, rund um den Bahnhof und an der Schlachte. Jetzt hoffe ich, dass sich alle an die Regeln halten – und dass in die Kneipen und Bars trotzdem weiter Leben einkehrt.

 

Der Verein Clubverstärker hat sich mit einem dringenden Appell und Hilferuf an Sie gewandt. Wie können und wollen Sie den Clubbetreiber*innen helfen, die seit Monaten geschlossen haben und vermutlich auch noch längere Zeit geschlossen bleiben müssen? 

 

Die Clubs und die Veranstaltungsszene sind von allen Branchen mit am meisten von der Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung betroffen. Die Soforthilfen des Senats konnten das naturgemäß nur zum Teil abfedern. Deshalb ist es auch gut, dass aus dem Konjunkturpaket des Bundes jetzt weitere Unterstützung kommt. Und vielleicht müssen wir auch als Land noch mal ran. Zu allererst hoffe ich aber natürlich, dass die Clubs in absehbarer Zeit wieder ihrem Geschäft nachgehen und dann auch Geld verdienen können. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Das wird nur gehen, wenn sich das Infektionsgeschehen weiter beruhigt und wir das Virus dauerhaft verlässlich im Griff haben.

 

Mal ganz persönlich gefragt, wie sieht für Sie als Bürgermeister, aber vor allem auch als Kultursenator und Musiker, eine spannende popkulturelle Stadt aus?

 

Eine Pop-City zeichnet sich durch die richtige Mischung von Hoch- und Alltagskultur, von Professionalität und sympathischem Dilettantismus, von künstlerischer Individualität und beflügelndem Gemeinschaftserlebnis, von Avantgarde und Mainstream, von l‘art pour l‘artund Kultur in gesellschaftlicher Verantwortung aus. Wenn man dann noch ausreichend Clubs, Theater, Konzertsäle, Museen, Proberäume und Ateliers hinzufügt und das alles mit einem aufgeschlossenen und neugierigen Publikum abrundet, kommt mit Glück so etwas wie Bremen heraus.

 

Die Reisewarnungen ins europäische Ausland sind weitestgehend aufgehoben. Touristen*innen dürfen beispielsweise nach Mallorca reisen, die Schlachte platzt bei schönem Wetter aus allen Nähten, Innenminister Seehofer kann sich demnächst Fußballspiele mit Zuschauer vorstellen, vielleicht sogar schon beim DFB Pokalfinale im Juli. Die Schulen (auch in Bremen) sind allerdings weiterhin weit davon entfernt einen normalen Unterricht zu gewährleisten. Das ist für Eltern, die seit Monaten eine Doppelbelastung aus Home Office und Lehrertätigkeit ausgesetzt sind nur schwer zu verstehen. Was entgegnen Sie diesen Eltern?

 

Zunächst einmal, dass ich ihre Sorgen und Nöte sehr gut verstehen kann und sehr ernst nehme. Ich denke allerdings, dass wir in Bremen bei der Kinderbetreuung im Vergleich mit anderen Bundesländern so schlecht nicht dastehen. Anfang Juni besuchten schon rund 10.000 Kinder die Notbetreuung und seit Mitte des Monats können wieder alle Kinder in die Kita gehen. Wenn auch nicht mit voller Stundenzahl, weil nicht alle Erzieherinnen und Erzieher im Dienst sind. Einige gehörten zur Risikogruppe und müssen deshalb zu Hause bleiben.

Was die Schulen betrifft, werden die Grundschulen ab dem 22. Juni zum eingeschränkten Regelbetrieb übergehen – eingeschränkt deshalb, weil auch hier nicht alle Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen werden. In allen anderen Schulen wird bis zu den Sommerferien weiterhin in Halbklassen unterrichtet. Nach den Sommerferien streben wir dann, soweit das Infektionsgeschehen dies zulässt, für alle Jahrgänge die Rückkehr zum Vollbetrieb an. Natürlich auch hier mit der Einschränkung: Wenn Lehrerinnen und Lehrer fehlen, weil sie zur Risikogruppe gehören, wird zwangsläufig Unterricht ausfallen.

Bei aller hin und wieder geäußerter Kritik, weil es vielen Eltern nicht schnell genug geht, bitte ich eines zu bedenken: Es gibt auch Eltern, die sich nach wie vor Sorgen machen, denen es mit den Öffnungen nicht zu langsam, sondern zu schnell geht. Und es gibt Beschäftigte, die schon älter sind oder unter Vorerkrankungen leiden und deshalb ganz einfach Angst haben. Die müssen wir alle mitnehmen. Bislang, finde ich, sind wir da einen klugen Mittelweg gegangen.

 

Während in den höchsten Spielklassen (also, wo es um Geld geht) Fußball gespielt wird (mit teilweise Verstößen gegen das selbstauferlegte Hygienekonzept der DFL), ist der Jugendsport noch immer arg reduziert. Wann werden die Beschränkungen aufgehoben? Und wie sehen Sie die Situation persönlich? Wie sollen Eltern diesen Umstand ihren Kindern noch vernünftig erklären?

 

Ich war bekanntlich ein Gegner der Geisterspiele, konnte mich aber mit meinen Bedenken nicht durchsetzen. Und so ist das nun einmal in der Demokratie: Die Mehrheit entscheidet – und die hat sich für eine Fortsetzung der Bundesliga ausgesprochen. Dass wir unter diesen Umständen unserem Verein, also Werder, keine Knüppel zwischen die Beine werfen sondern ihn nach Kräften unterstützen, das finde ich richtig. Was den Amateur- und Jugendsport betrifft gehörten wir in Bremen zu den ersten Ländern, die wieder einen eingeschränkten Betrieb möglich gemacht haben. Auch hier ist das Ziel natürlich so schnell wie möglich wieder zum Regelbetrieb zurückzukehren. Ich selbst habe übrigens auch darunter gelitten, dass ich einige Wochen nicht mehr in meine Muckibude durfte – und böse Zungen behaupten sogar man würde mir das schon von Weitem ansehen.

 

Auf die Politik prasseln von allen Seiten finanzielle Forderungen ein, die einen monetären Schaden in Unternehmen, Vereinen und Privatpersonen mindern sollen. Hat Sie der geringe finanzielle Spielraum in Wirtschaft und Privathaushalten überrascht? 

 

Ich verstehe die Rufe nach staatlicher Unterstützung sehr gut, denn auch viele, die nicht unmittelbar von Insolvenz bedroht sind, mussten ja in den letzten Monaten erhebliche Einbußen hinnehmen. Andererseits ist auch klar, dass der Staat bei einem wirtschaftlichen Einbruch dieser Größenordnung nicht alle Verluste von Unternehmen und Privathaushalten ausgleichen kann. Wir können immer nur teilweise Hilfe leisten.

 

Ein Thema den Bund betreffend, aber Ihre Meinung interessiert uns, verbunden mit der Frage, wofür Sie im Bundesrat einstehen wollen. Der Bundestag hat den Kinderbonus beschlossen und medienwirksam vorgestellt, allerdings die Anrechnung auf den Kinderfreibetrag bei der Steuererklärung eher nebenbei erwähnt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer kein Arbeitszimmer hat, aber im Home Office arbeitet kann den Raum nicht gelten machen, gleichzeitig aber die Pendlerpauschale nicht abziehen. Wer noch obendrein in Kurzarbeit ist, unterliegt dem Progressionsvorbehalt. Konkret gefragt, was kommt auf die Steuerzahler*innen (unabhängig  von den vielen individuellen Faktoren) im Jahr 2021 zu? Was raten Sie gerade Menschen mit eh schon geringem Einkommen, wie sie mit der aktuellen Lage umgehen sollen?

 

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Steuerzahler mit niedrigen oder mittleren Einkommen in diesem und im nächsten Jahr steuerlich entlastet werden, man denke etwa für dieses Jahr an die Senkung der Mehrwertsteuer. Für eine Senkung der Steuern auf hohe Einkommen besteht dagegen kein finanzieller Spielraum. Deshalb will ja auch die SPD den Soli für Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro (alleinstehend) bzw. 200.000 Euro (verheiratet) erhalten.

 

Vielen Dank, Herr Bovenschulte!

 


Mehr Beiträge aus" Interviews" zur Startseite

Andreas Bovenschulte im Interview teilen auf: