„Eigentlich sind wir krasse Pop-Roboter“ – Von Wegen Lisbeth im Interview

Im Gespräch erzählen die Newcomer von ihrer kurzen Live-Pause, körperlichem Verschleiß und ihren Gedanken über die Echo-Verleihung.

Foto: Jörg Kröger

Bremen/Hamburg. Aktuell befinden sich die Durchstarter von Von Wegen Lisbeth schon wieder auf Tour. Nachdem im Sommer ihr Debütalbum „Grande“ erschienen ist, werden die Clubs noch größer und auch Festivals sind bereits jetzt jede Menge bestätigt. Vor ihrem Auftritt im Hamburger Mojo Club haben wir Matthias und Julian getroffen – ein angenehmes Gespräch in lockerer Atmosphäre, immer mit etwas Ironie in der Luft. Im Herbst kommt die Band auf „Hallo Dispo“-Tour wieder nach Bremen, am 20. Oktober in den Schlachthof.

Ihr habt ein sehr turbulentes und ereignisreiches Jahr hinter euch und seit jetzt schon wieder auf großer Tour. Habt ihr überhaupt mal Zeit zum Durchatmen, oder braucht ihr die gar nicht?

Matze: Wir brauchen diese Zeit schon und hatten sie erst jetzt in den letzten zwei Monaten. Im Dezember und Januar konnten wir ein bisschen chillen. Das war sehr gut! Eigentlich sind wir so krasse Pop-Roboter. Wir dachten immer, es macht uns überhaupt nichts. Aber am Ende hat es schon ziemlich gezehrt.

Julian: Ich war auf jeden Fall froh, Matze zwei Monate nicht so oft sehen zu müssen.

Wie habt ihr diese Live-Pause genutzt, was habt ihr in dieser Zeit gemacht?

Matze: Ab eins macht jeder seins. Wir haben echt möglichst wenig gemacht in den zwei Monaten.

Hängt ihr denn als Band noch aufeinander rum oder seid ihr froh, auch mal Ruhe voneinander zu haben?

Matze: Auf jeden Fall sehen wir uns wesentlich weniger als normalerweise. Aber ich hänge sowieso mit Robert rum, da ich mit ihm zusammenwohne. Ansonsten haben wir probiert, uns mal zwei Monate nicht so oft zu sehen. Das klappt aber auch nicht so richtig.

Julian: Wir haben ja sonst keine anderen Freunde.

Wenn man immer unterwegs ist…

Matze: Ja, wir haben jeglichen anderweitigen sozialen Kontakt total vernachlässigt.

Nach Festivaltour und ausverkaufter Clubtour scheint ihr dieses Jahr direkt anzuknüpfen. Gibt es da schon körperlichen Verschleiß oder Schreibblockaden beim Songwriting?

Matze: Schreibblockaden? Ich habe seit dem Album noch gar nicht probiert, etwas Neues zu schreiben. Aber ich glaube, ich würde eine Schreibblockade haben. Und um das Problem von vorne zu umgehen, schreibe ich gar nicht erst.

Julian: Matze meinte vor der Pause zu mir, er ist ein bisschen schockiert davon, dass er gar nicht mehr freiwillig Gitarre spielt. Das ist ein schlechtes Zeichen. Deswegen war so eine Pause wie jetzt unbedingt nötig. Hast du da Gitarre gespielt?

Matze: Wenig.

Julian: Wir brauchen mehr Pause!

Matze: Wir haben auf jeden Fall krasse körperliche Verschleißerscheinungen.

Wie äußern sich die?

Matze: Ich kriege immer weniger Haare.

Deswegen trägst du also eine Mütze.

Matze: Die Tourplauze geht nicht mehr weg. Ich dachte, wir kriegen dieses Mal bei der Apotheke einen Rabatt. Wir haben vorher einen riesigen Einkauf gemacht mit allem, was es gibt.

Julian: Nur Robert verschleißt nicht. Er ist ohnehin super sportlich und normalerweise klettert er mega viel, wenn er die Zeit dazu hat. Jetzt waren wir fast das ganze Jahr weg und er konnte es kaum tun. In der Pause ist er wieder klettern gegangen, ich war dabei und dachte mir „Robert, du hast nichts verlernt!“

Matze: Robert braucht auch keinen Schlaf, er ist der perfekte Tourmensch. Wenn er drei Stunden schläft ist er topfit und fährt dann ohne Probleme acht Stunden Auto. Das ist schon beeindruckend und creepy.

Julian: Und er schwitzt nicht auf der Bühne. Ich glaube, er ist der eigentliche Pop-Roboter.

Matze: Ich glaube auch, er ist wie der Typ bei Westworld ein Roboter und keiner weiß es. Die Serie hat übrigens ein ganz, ganz schwaches Staffelfinale. Das wollte ich an dieser Stelle mal spoilern.

Kenne ich gar nicht. Sollte man die kennen?

Matze: Wirklich, das war unfassbar schlecht.

Julian: Ist ne scheiß Serie!

(Zwischendurch kommt jemand mit einer Kamera rein und filmt. Matze und Julian öffnen sich ein  Bier. Auf das Etikett ist ein Gewinnspiel gedruckt, bei dem man Tickets für die Echo-Verleihung gewinnen kann.)

Macht ihr einen Tourblog?

Julian: Wir haben jetzt eine Filmkamera dabei und nehmen ein paar Sachen auf. Wir dokumentieren unseren Verschleiß. Wer weiß, wie lange wir das noch machen können.

Mit der Flasche könnt ihr übrigens VIP-Reisen zum Echo gewinnen. Das ist doch was!

Julian: Geil! Oh krass!

Matze: Das ist so ungefähr das letzte, wo ich jemals hinmöchte.

Julian: Also meiner Meinung nach ist der Echo der einzig wahre Musikpreis. Da geht´s nämlich nur ums Geld.

Matze: Alle anderen Musikpreise heucheln immer mit einer Jury und erzählen, wie viele Gedanken sie sich gemacht haben. Der Echo probiert es gar nicht erst.

Julian: Da kauft man sich einfach ein!

Matze: Genau, es geht nur ums Geld und dafür bekommt man einen Preis. Das finde ich wenigstens ehrlich.

Julian: Scheiße ist es aber trotzdem!

Hat man als Band, die auch mal ins Kontroverse geht, jetzt aber immer erfolgreicher wird, eigentlich Angst davor, irgendwann für den Echo nominiert zu werden?

Julian: Nein, da habe ich keine Angst!

Matze: Doch, ich schon. Denn wenn du dir anguckst wer da nominiert ist, das ist halt grundsätzlich nur scheiße, durch die Bank weg.

Julian: Meinst du, deshalb kommen wir auf jeden Fall infrage?

Matze: Wenn wir da mal nominiert werden, haben wir echt etwas falsch gemacht.

Also immer darauf hinarbeiten, dass es nicht passiert!

Matze: Andererseits hätten wir dann so viele Platten verkauft, dass mir das auch scheißegal wäre.

Gleich zwei Konzerte in Berlin im Herbst sind jetzt schon ausverkauft. Habt ihr euch jemals erträumt, so future zu sein?

Julian: Ne. Krass future!

Matze: Das haben wir uns wirklich nie erträumt.

Julian: Ich hätte niemals gedacht, mal Konzerte im SO36 zu spielen. Das ist der Club, da haben wir selber so krasse Konzerte gesehen.

Und dann gleich zwei, die über ein halbes Jahr vorher ausverkauft sind!

Matze: Wir haben gestern und vorgestern im Lido gespielt und das war schon so ein Teenie-Traum. Einmal im Lido spielen! Das SO36 ist nochmal eine Stufe drüber.

Julian: Da haben wir so Secret Concerts von den Ärzten gesehen. Das war so geil! Richtig krass!

Wie lange ist das her?

Julian: Damals, als wir Kinder waren… zehn Jahre liegt das bestimmt schon zurück.

Matze: Wir können jetzt nicht mehr viel erreichen, das geht nicht. Ich glaube, wir sind gerade am Zenit unseres Schaffens.

Julian: Nein, noch nicht, wir haben noch 300 Tickets auf dieser Tour, die noch verkauft werden müssen. Dann sind wir komplett ausverkauft. Das können wir noch schaffen. Erst dann geht es steil bergab.

Nutzt ihr die vielen Shows in diesem Jahr auch, um neuere Songs live zu testen oder geht ihr vorrangig mit dem bisherigen Material auf die Bühne?

Matze: Da wir es auf Tour nicht gebacken kriegen, neue Songs zu schreiben, gibt es nach dem Album noch gar keine neuen Songs.

Julian: Bevor wir das Album aufgenommen haben, waren noch relativ viele Songs im Bau. Die haben es nicht auf das Album geschafft, weil sie einfach noch nicht fertig waren. Wir mussten ins Studio und wollten die hinterher fertig machen. Das Problem ist, wir haben uns nicht bewusst gemacht, dass wir dann ungefähr ein Jahr lang gar nicht mehr zum Proben kommen. Deswegen hängt es jetzt noch auf demselben Niveau ab.

Matze: Wenn wir wieder die Zeit zum Proben hätten, würden wir natürlich sofort daran weiterarbeiten.

Julian: Natürlich, ohne Probleme!

Ihr bringt eine Leichtigkeit mit auf die Bühne und seid eher für eure schnelleren Stücke bekannt. Sind ruhige Songs wie „Bärwaldpark“ oder „Unterm Schrank“ eher Beiwerk für euch und mehr ein Exklusiv-Moment für Albumhörer oder durchaus für die Bühne gemacht?

Matze: Bärwaldpark spielen wir auch live, das ist für mich überhaupt kein Beiwerk sondern sogar eines meiner Lieblingslieder. Ich feiere es immer sehr, wenn wir das im Set endlich spielen.

Julian: Unterm Schrank spielen wir tatsächlich nicht im Set, weil das live ehrlich gesagt ziemlich tricky zu arrangieren ist.

Matze: Und weil der Track echt uralt ist, es ist bestimmt schon fünf Jahre her, dass ich den Text dafür geschrieben habe.

In einem Kommentar zum Album habe ich das Zitat gelesen, „Wenn Lena Meyer-Landrut das hört, während sie sich die Fußnägel lackiert, malt sie über.“ und auch in euren Texten lasst ihr wenig Gutes über kommerziell erfolgreiche deutsche Musiker. Gibt es aktuell Radiomusik, mit der ihr euch anfreunden könnt?

Julian: Ja! Ich höre sogar ziemlich viel Radio in letzter Zeit!

Matze: Aber wenig deutsche Sachen. Eine deutsche Band, die im Radio läuft und die ich geil finde, das wird echt schwierig.

Julian: Es geht nicht allein um den Erfolg, aber das, was viele mit ihrer Musik machen müssen, um erfolgreich zu sein, das ist traurig. Darum geht es eher!

Matze: Ich finde, man merkt es der Musik auch an. Da ist keine Leidenschaft dabei!

Während populäre Musik immer weichgespülter wird, laufen eure Songs plötzlich im Radio. Fühlt ihr euch damit überhaupt wohl?

Matze: Das ist immer noch komisch für uns. Natürlich ist es geil, das zu hören, aber ich habe mich bisher nicht daran gewöhnt. Ich höre kaum Sender, wo unsere Mucke läuft. Neulich habe ich zum ersten Mal „Wenn du Tanzt“ im Radio gehört, das war relativ krass!

Und was für englische Radiomusik hört ihr?

Matze: Ich höre immer 91.4, das ist Berliner Rundfunk, die machen 60er, 70er und 80er. Die haben jetzt eine neue Rubrik, ab acht Uhr spielen sie eine Stunde nur 80er und ab neun Uhr eine Stunde nur 90er. Das ist geil! Was sie da an deutscher Mucke spielen ist eher Neuer-Deutsche-Welle-Kram.

Julian: Und alle zwei Stunden läuft „The Final Countdown“. Das ist der einzige Scheißtrack, den die spielen.

In den letzten Monaten habt ihr unglaublich viele Kilometer abgerissen und praktisch alle Regionen in Deutschland kennengelernt. Gibt es einen Ort, an dem ihr besonders gerne auftretet?

Julian: In der Schweiz! Weil es einfach immer ultra-bonzig ist. Das ist wirklich unfassbar, die Leute da schwimmen in Geld. Du kriegst alles! Also ich spiele sehr gerne in Schweiz. Ansonsten in Bremen natürlich!

Matze: Ohne Witz, ich hätte fast gerade Bremen gesagt. Bremen ist wirklich geil und auch das Lagerhaus ist geil!

Julian: Die Problem an dem Laden und deshalb sage ich doch nicht Bremen ist, dass wir immer alles die drei Treppen hochtragen müssen. Wir haben wirklich viel Kram dabei. Das ist ein anstrengender Scheiß-Job.

Matze: Die Abende in Bremen waren aber immer sehr gut und ich mag die Stadt! Am 20. Oktober spielen wir auf der nächsten Tour ja wieder dort, diesmal aber im Schlachthof.

Welche Unterschiede bemerkt ihr zwischen dem norddeutschen Publikum in Hamburg und Bremen und Besuchern im Süden?

Matze: Sowohl die Nordmenschen als auch die Südmenschen haben alle einen Stock im Arsch.

Julian: Das ist immer unterschiedlich, so kann man das schlecht sagen.

Matze: Also am schlimmsten ist Stuttgart! Ich will jetzt auch nicht über Stuttgart reden.

Julian: Hamburg ist ein relativ schwieriges Publikum. Super anspruchsvoll und immer ein bisschen zu cool zum Tanzen. Besonders, wenn eine Berliner Band dort spielt.

(Nach dem Konzert erzählt Matze uns, dass sich diese Aussage nach solch einer wilder und verschwitzen Show dann wohl erledigt hat.)

Norddeutsch zurückhaltend, oder wie würdet ihr es beschreiben?

Julian: Ja genau, gar nicht schlecht, aber die gucken zuerst immer eher skeptisch, was du da so machst. Im Osten zum Beispiel feiern die Besucher alles

Wie ist es dann wiederum in München… oder in Stuttgart?

Matze: Große Städte finde ich immer schwer, außer Köln. In Köln sind die Leute gut gelaunt, sonst gilt fast immer, je kleiner die Stadt, desto geiler das Konzert.

In kleineren Städten ist ja auch die Auswahl viel überschaubarer und bekannte Bands kommen viel seltener vorbei, als in Städten wie Berlin.

Matze: Rostock oder Münster zum Beispiel. Die letzten Konzerte da waren ein richtiger Abriss!

Julian: Gestern in Berlin war es auch geil. Wobei das natürlich auch immer ein Heimspiel ist.

Matze: Zusätzlich ist man in Berlin nochmal viel aufgeregter als sonst. Heute finde ich es sehr entspannt. Wobei meine Schwester da ist, dann muss ich mich zusammenreißen.

Am 20. Oktober kommt ihr wieder nach Bremen, zuletzt habt ihr im Herbst im Lagerhaus gespielt. Habt ihr bis auf die drei Treppen noch Erinnerungen, oder wurden sie wieder im Bermuda-Dreieck weggespült?

Matze: Tatsächlich wenig, weil der Abend relativ gelungen war.

Julian: Wir haben mega nette Leute kennengelernt. Danach waren wir noch ein bisschen in den Kneipen unterwegs, das sind vom Lagerhaus aus natürlich angenehm kurze Wege.

Wollt ihr zum Abschluss noch unbedingt etwas loswerden?

Matze: Hört euch unbedingt die Giant Rooks an, das ist eine heftig talentierte, sehr gute junge Band. Wir sind jetzt schon zum zweiten Mal mit ihnen auf Tour. Geile Truppe!

Sichert euch hier Tickets für Von Wegen Lisbeth am 20. Oktober im Schlachthof oder für Giant Rooks am 24. Februar im Tower.

 


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